So gut wie alle deutschen Spitzensportverbände und die angeschlossenen Vereine befinden sich derzeit in einem Wandlungsprozess. Bedroht von einem kontinuierlichen Mitgliederschwund, suchen die Organisationen Wege und Möglichkeiten um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen und der Krise zu entrinnen.
Auch der Deutsche Schützenbund hat sich diesem wichtigen Zukunftsthema angenommen. In Kooperation mit der Führungsakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wurde die Kommission „Mitgliederbindung und –gewinnung“ ins Leben gerufen. Ende April 2011 wurden die ersten Ergebnisse und Erkenntnisse vorgestellt.
Erkenntnisse über die Situation in den Schützenvereinen kann die Kommission nun auch aus einer Sonderauswertung des Sportberichts 2009/2010 ziehen. Im Sportentwicklungsbericht, der von Professor Christoph Breuer von der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS) im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp), dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Landesssportbünden erarbeitet wurde, wird insbesondere die Bedeutung der Sportvereine für die Gesellschaft deutlich.
Der Wissenschaftler hat mit seinem Team die Situation der Sportvereine in Deutschland analysiert und durch Handlungsempfehlungen für Politik und Sport ergänzt.
Bei dieser Befragung des Sportentwicklungsberichts wurde konkret über ein Drittel der Vereine des DSB angesprochen. Über 1.000 Vereine des DSB haben den Fragebogen beantwortet und sich an der Studie beteiligt.
Die nun erschienene Sonderauswertung für Schützenvereine soll den Verantwortlichen in den Verbänden und vor Ort in den Schützenvereinen Orientierungshilfe sein.
Hier stark zusammengefasst die wichtigsten Erkenntnisse. Der detaillierte Bericht ist am Ende zum Download beigefügt.
Sport – Gemeinwohl - Gemeinschaft
Auffällig ist, dass sich die Schützenvereine in Deutschland nicht mit der Organisation eines einfachen Sportangebots begnügen.
Unter der Vielzahl an Vereinszielen sind besonders wichtig:
• Vermittlung von Werten, wie unter anderem Fair Play oder Toleranz
• gleichberechtigte Partizipation von Mädchen/Frauen und Jungen/Männern
• Sport für ältere Personen zu ermöglichen.
Schützenvereine möchten aus ihrem Selbstverständnis heraus ehrenamtlich organisiert sein und legen viel Wert auf Gemeinschaft sowie Geselligkeit.
In den letzten beiden Jahren haben deutlich mehr Schützenvereine gemeinsame Angebote mit einem anderen Sportverein oder einer Schule erstellt.
Knapp 14 % aller Schützenvereine in Deutschland kooperieren bereits bei der Angebotserstellung mit Schulen.
Im Zeitverlauf fällt auf, dass die Schützenvereine durchschnittlich etwas weniger optimistisch in die Zukunft schauen als noch vor vier Jahren.
Ansonsten kann das gemeinwohlorientierte Selbstverständnis der Schützenvereine als bemerkenswert stabil bezeichnet werden.
Mitgliederzahlen im Sinkflug – Probleme im Aufwind
Bei allen bemerkenswerten Leistungen der Schützenvereine darf nicht übersehen werden, dass die Situation der Schützenvereine nicht völlig problemfrei ist.
Die größten Probleme der Schützenvereine:
• die Anzahl an Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften, welche vielfach als zu hoch bzw. zu belastend eingestuft werden.
• die Bindung und Gewinnung von jugendlichen Leistungssportlern, ehren-amtlichen Funktionsträgern, Mitgliedern, Übungsleitern/Trainern sowie Kampfrichtern/Schiedsrichtern.
In den letzten beiden Jahren haben sich mehrere Problemlagen verschärft, wie z. B.
• die Anzahl an Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften,
• die Bindung und Gewinnung von Mitgliedern,
• die demografische Entwicklung in der Region,
• die Unklarheit der Gesamtperspektive des Vereins
• die örtliche Konkurrenz durch kommerzielle Sportanbieter
44,5 % der Vereine sind in ihrer Existenz bedroht
Darüber hinaus ist auffallend das es eine deutliche Anzahl an Vereinen gibt, die mindestens ein existenzielles Problem haben. Dies sind bundesweit 44,5 % aller Schützenvereine
Dieser Anteil an Vereinen hat sich zwischen 2007 und 2009 dramatisch mehr als verdoppelt.
Dies liegt im Wesentlichen daran, dass sich einzelne Problemlagen verschärft haben.
• Hierbei stellt insbesondere die Anzahl an Gesetzen, Verordnungen und Vorschriften für fast jeden vierten Schützenverein ein existenzielles Problem dar.
• Für knapp 11 % der Vereine stellt die Bindung und Gewinnung von Mitgliedern und für rund 9 % die Bindung und Gewinnung von jugendlichen Leistungssportlern sowie von ehrenamtlichen Funktionsträgern ein existenzielles Problem dar.
• In finanzieller Hinsicht sind die Ausgaben für Steuern aller Art drastisch zwischen 2007 und 2009 gestiegen.
Vom Breitensport zur Elite
Ohne die Schützenvereine wäre Leistungssport im Bereich Schießsport in Deutschland kaum denkbar.
Rund 2.400 Schützenvereine haben Kaderathleten auf D/C-, C-, B- oder A-Kaderebene in ihren Reihen und bilden somit eine wichtige Basis für den Leistungs-/Hochleistungssport in Deutschland
Das Ziel eines preiswerten Sportangebots spiegelt sich auch in den Mitgliedsbeiträgen und Aufnahmegebühren der Schützenvereine wider. So sind Schützenvereine Garanten dafür, dass finanziell erschwingliche organisierte Schießsportangebote von der breiten Bevölkerung nachgefragt werden können.
Herausragende Leistung in Richtung Allgemeinwohl
Ein zentrales und angebotsübergreifendes Gemeinwohlmoment stellt der Beitrag der Schützenvereine zum freiwilligen Engagement und Ehrenamt dar.
Insgesamt engagieren sich in den Schützenvereinen Deutschlands Mitglieder in über 273.000 ehrenamtlichen Positionen, davon rund 155.000 auf der Vorstandsebene und knapp 118.000 auf der Ausführungsebene (z. B. Trainer, Übungsleiter, Schieds- und Kampfrichter).
Im Zeitraum zwischen 2007 und 2009 hat jedoch die Anzahl an ehrenamtlichen Positionen auf der Vorstandsebene signifikant abgenommen.
Im Durchschnitt ist jeder Ehrenamtliche 17,7 Stunden pro Monat für seinen Verein tätig. Bundesweit ergibt sich daraus eine Arbeitsleistung von rund 4,8 Mio. Stunden, welche in den Schützenvereinen jeden Monat erbracht wird.
Wertschöpfung 72 Millionen Euro pro Monat!
Daraus resultiert bundesweit eine monatliche Wertschöpfung von rund € 72 Mio. bzw. eine jährliche Wertschöpfung von rund € 864 Mio. durch ehrenamtliches Engagement in den Schützenvereinen.
(Es ist zu beachten, dass hier noch nicht diejenigen Leistungen der freiwilligen Helfer einberechnet sind, die sich bei gesonderten Arbeitseinsätzen unentgeltlich beteiligen - Vereinsfeste, Sportveranstaltungen, Renovierungen, Putzaktionen etc.).
Dabei engagieren sich etwa 386.000 Mio. Mitglieder als freiwillige Helfer bei diesen gesonderten Arbeitseinsätzen im Verein. Werden diese freiwilligen Helfer zu den Personen mit Ehrenamt addiert, so ergibt sich eine Gesamtzahl3 von rund 660.000 Ehrenamtlichen in Schützenvereinen.
Aktive Migration
Vor dem Hintergrund der Internationalisierung der Bevölkerung werden auch die Leistungen der Schützenvereine im Hinblick auf die Integration von Migranten immer wichtiger zur Beurteilung ihrer Gemeinwohlbedeutung.
Im Durchschnitt haben 5 % der Mitglieder der Schützenvereine einen Migrationshintergrund. Dies entspricht insgesamt rund 75.500 Menschen mit Migrationshintergrund, die in den rund 15.000 Schützenvereinen integriert sind.
So weit Auszüge aus dem Sportentwicklungsbericht.
Chancen
Aus diesem Bericht lassen sich neben den Fakten auch Chancen erkennen:
• Die Vermittlung von Werten so wie die Orientierung hin zum Gemeinwohl – konträr der bekannten Imageprobleme – das dürfte der richtige Weg zur Sinngebung und damit auch der Motivation und Neugewinnung der Mitglieder sein. Der Schützenverein als reiner Spaßfaktor hat eher ausgedient.
• Die Zusammenarbeit mit Ämtern und Behörden ist ebenso wichtig wie die Kooperation mit anderen Vereinen, mit Schulen, Brauchtum und Politik. Die Zukunft wird über "Netzwerke" gestaltet.
• Die Darstellung des Schießsports in der Öffentlichkeit bedarf einer grundlegenden Erneuerung. Auch hinsichtlich der demographischen Entwicklung ergeben sich Chancen und Möglichkeiten.
• Die ehrenamtlich erbrachte Wertschöpfung in den Vereinen ist einzigartig, - aber unbekannt in der Öffentlichkeit. Das was Schützenwesen ausmacht und leistet, bleibt dem Normalbürger ( insbesondere in Ballungszentren) verborgen.
• Die (verbandsübergreifende) Öffentlichkeitsarbeit ist hier dringend gefordert und Bedarf ebenfalls einer Neuorientierung.
Quelle: Deutscher Schützenbund