Man feiert kein Schützenfest, sondern das Freischießen. Es gibt keine Kompanien und Regimenter sondern Korporationen. Auch sonst ist vieles anders als Anderswo.
Das Fest vor dem Fest
Der offizielle Beginn des Freischießens ist immer am Sonntag.
Aber bereits am Tag zuvor finden viele Aktivitäten statt: am so genannten „Heiligen Abend" marschieren die Musikcorps der einzelnen Korporationen ab 12 Uhr durch die Straßen der Stadt, um den Königen des Vorjahres und den Honoratioren der Stadt ein Ständchen zu bringen.
Großer Aufmarsch dann am späten Nachmittag: die einzelnen Korporationen marschieren am Marktplatz auf, melden Ihre Bereitschaft und Stärke.
Danach wird in den Zelten, die in der Stadt verteilt sind, wie auch in den Sälen, das Beisammensein mit großen Bällen gepflegt.
Wer mag vertreibt sich die Zeit auf dem Volksfest, ein Anziehungspunkt für alle Bürger mit vielen Attraktionen und Fahrgeschäften.
Menschen, Blumen, Musik
Am Sonntagvormittag werden die Fahnen der Korporationen vom neuen Rathaus in das alte historische Rathaus am Markt überführt.
Eine sehenswerte Zeremonie, zu der sich viele Menschen einfinden.
Ein Platzkonzert verkürzt die Zeit, bevor dann der große Festzug durch die Straßen Peines beginnt, aber erst nachdem der Bürgermeister persönlich die offizielle Eröffnung des Freischießens vorgenommen hat.
Zweieinhalbtausend männliche Mitglieder machen sich dann zusammen mit rund 25 Musikzügen auf den Weg durch die Stadt.
Auch hier gibt es Besonderheiten: am Marktplatz stehen überall Mädels und Frauen, beschenken die Schützen (oder ihren Auserkorenen) mit roten Rosen.
Besonders beliebte Kameraden bringen es fertig, mit einem dicken Strauß voller Rosen im Ziel anzukommen.
Die Trommeln, Fanfaren und Trompeten der Musik schallen durch die ganze Stadt.
Der Zugweg ist bis auf die letzten Zentimeter von Besuchern gefüllt, die ganze Stadt feiert mit.
Des Abends steigen in den Unterkünften der Korporationen wieder Bälle, bei welchen kräftig das Tanzbein geschwungen wird.
Politik bürgernah
Die enge Zusammenarbeit zwischen Verwaltung, Politik und Korporationen zeigt sich ganz besonders am Sonntagnachmittag.
Beim sogenannten Ratsrundgang gehen Landrat, Bundestagsabgeordnete Landtagsabgeordnete und der Stadtrat, begleitet von den Trommelboes, von Korporation zu Korporation.
Dort werden sie freundlich begrüßt und bewirtet. Es folgen Reden und Gegenreden, manchmal eher scherzhaft oder mit leichter Ironie, dann wieder ernsthaft.
Auf jeden Fall ein sinnvoller Meinungsaustausch.
Wir werden an anderer Stelle noch separat über diesen Rundgang berichten.
Der König ist tot, es lebe der König!
Eine besondere Ehre wird den scheidenden Königen der Korporationen, sowie dem Bürgerkönig, am Montag des Freischießens zuteil.
Die Korporationen marschieren rund um das neue Rathaus auf. Im Plenarsaal dürfen sich die Majestäten in einer feierlichen Zeremonie in das goldene Buch der Stadt eintragen.
Das ist denn ihre letzte Amtshandlung, zeigt aber auch, wie eng hier Verwaltung, Politik und Schützenwesen verknüpft sind.
Anschließend startet der Montags-Festzug zur Freude der Bevölkerung durch die Peiner Innenstadt.
Am Abend das Highlight des Tages: die neuen Majestäten werden am alten historischen Rathaus bekannt gegeben. Ermittelt wurden diese schon einige Zeit vorher.
Die Ergebnisse werden aber streng geheim gehalten. Nicht einmal die Betreffenden selber wissen darüber Bescheid.
Es ist fast unglaublich, wie viele Menschen sich hier am Markt einfinden um diesem, teils auch sehr bewegenden Ereignis, beizuwohnen.
Großer Jubel, wenn der Bürgermeister der Stadt die jeweiligen Namen der Könige bekannt gibt. Nach der feierlichen Zeremonie marschieren die Korporationen in ihre Zelte um dort ihren König zu ehren und zu feiern.
Buntes im Schützen Wesen
Dienstags trifft man sich nach meist kurzer Nacht etwas später: Im Mittelpunkt stehen dann die sogenannten bunten Umzüge.
Das hat etwas von Karneval, den es hier nicht gibt. Die Korporationen ziehen verkleidet mit ihren Musikzügen kreuz und quer durch die Innenstadt.
Man mag es kaum glauben, doch wenige Stunden später ist dieser Spuk vorbei und alle treffen sich in ordnungsgemäßer Uniform am Schützenhaus, bevor es zum großen Fackelzug geht.
Trotz der späten Stunde (ab 22:00 Uhr) drängen sich die Menschen am Straßenrand.
Der Marktplatz ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Erstaunlich auch viele Kinder und Jugendliche (natürlich in Begleitung Erwachsener)sind dabei, die auf diese Art und Weise schon sehr früh an das Schützenbrauchtum herangeführt werden.
Fahnen, Musik, Könige, Schaffer und Politik treffen sich nun zum letzten Mal auf der Balustrade des historischen Rathauses, von wo aus der Bürgermeister das Freischießen für beendet erklärt.
Historisches
Die wirtschaftlich aufsteigende Stadt Peine wurde aufgrund ihrer günstigen Lage nicht nur von Gunzelin von Wolfenbüttel, sondern auch von den Weifen von Braunschweig und von den Bischöfen von Hildesheim heiß begehrt. Aufgrund unklarer Besitzverhältnisse entstanden endlose Fehden zwischen den Weifen, den Bischöfen von Hildesheim und anderen Fürstlichkeiten. Die damit verbundenen kriegerischen Handlungen brachten der gerade aufblühenden Stadt große Not.
Um diesem Unheil entgegenzutreten, fanden sich erstmalig um das Jahr 1300 Bürger der Stadt zusammen, um eine Schützenbruderschaft zu gründen. Ihre Aufgabe sollte es sein, bei Notständen auf freiwilliger Grundlage zusammenzukommen und auf Anweisung des Rates der Stadt Angriffe von außen abzuwehren und gegen innere Unruhen und Feuersbrünste einzuschreiten.
Bei regelmäßig stattfindenden Wettkämpfen wurde mit Armbrust und Pfeil und Bogen auf Scheiben und nachgebildete Tiere geschossen. Zum Anreiz wurde der beste Mann dann „König" genannt, er erhielt als Zeichen seiner Würde eine Halskette und als Geschenk einen Zinnbecher, zuweilen auch Geld. Von 1530 an war es Brauch, dass dieser sich von dem „Servis", den städtischen Abgaben, freischoss. 1859 wurde dieser Brauch jedoch wieder abgeschafft. Im Jahre 1597 trat die heutige Schützengilde die Nachfolge der ersten Peiner Schützenbruderschaft an. Mit der Erfindung des Schießpulvers und der Einführung der Handfeuerwaffen ging man bei den Übungen allmählich auf diese Waffenart über. Von nun an wurde vorwiegend auf Holzscheiben geschossen.
Die Durchführung des Freischießens hat im Laufe der Zeit manche Wandlung erfahren. Aus der Verpflichtung des Bürgers und seiner freiwilligen Teilnahme an jährlichen Schießübungen entstanden über die Landsknecht- auch Söldnerheere die verschiedensten Wehrpflichtsysteme. Traditionsgemäß wird aber bis zum heutigen Tag das Peiner Freischießen am ersten Sonntag im Juli offiziell eröffnet. 14 Tage vor Beginn des Festes macht noch der Trommelboes Montags, Donnerstags und Sonnabends seine Runde durch die Stadt
Der Bürgerkönig wird von den drei Bürgerkorporationen Schützengilde, Bürger-Jäger und Neue Bürger gemeinsam ausgeschossen.
An diesem Schießen auf die Scheibe des Bürgerkönigs kann auch jeder Bürger der Stadt teilnehmen, ohne einer Korporation anzugehören. Allerdings kann er die Würde des Bürgerkönigs nur dann erringen, wenn er an den beiden Hauptauszügen am Sonntag und Montag teilgenommen hat
Alle anderen Korporationen haben jeweils ihren eigenen König. Zu den sieben heute noch bestehenden Korporationen zählen Schützengilde, Bürger-Jäger, Neue Bürger, Walzwerker, Bildung, Vater Jahn und das Corps der Bürgersöhne (Junggesellen).